Als ein Projekt, welches sich vorrangig durch das Internet seine Autoren fischt, kommuniziert und die Werbetrommel rührt, profitieren wir von KREUZWORT außerordentlich durch das Internet. Und da dieser Blog von Anfang an dafür gedacht war, nicht nur als Terminkalender zu fungieren, sondern auch Inhalte zu tragen, gäbe es wohl keinen sinnigeren Anfang, als sich damit auseinanderzusetzen, womit wir täglich operieren: Dem Internet.
Tristan Marquardt, der bei uns zusammen mit Lea Schneider und Tom Bresemann unsere erste Lesung bestritt im E-Mail-Interview mit Kristoffer Cornils von KREUZWORT.
Kristoffer Cornils: Das Internet besitzt für die Literaturlandschaft mittlerweile einen hohen Stellenwert. In welcher Form nutzt du als Konsument von Literatur das Internet?
Tristan Marquardt: In jeglicher, und das nicht freiwillig. Grund dafür ist unser aller Liebling, das Buch, das zwar dafür sorgt, dass Literatur im Vergleich zu anderen Bereichen (Musik, Fotografie etc.) im Internet deutlich unterrepräsentiert erscheint, das selbst aber nie aufzufinden ist. Denn fast alle Buchhandlungen sagen dir: Lyrik ist tot – nur beim Zeitpunkt sind sie sich je nach Todesdatum von Celan, Jandl oder Domin uneinig. Also durchforsche ich das Internet und bin dankbar dafür, von nahezu jeder/m Lyriker/in ein paar Textproben zu finden, die dann darüber entscheiden, in welchen Gedichtband ich bei der nächsten Lohnauszahlung investiere.
Und wie ist es als Besucher von Literaturveranstaltungen wie Kreuzwort?
Newsletter, Mail-Verteiler, Homepages von Literaturinstitutionen – ich frage mich manchmal, wie das ohne Internet gelaufen ist.
Meinst du, die Bandbreite an Informationen lässt es überhaupt noch zu, genügend Aufmerksamkeit auf das Angebot zu richten? Oder muss man sich zwangsläufig etwas völlig Außergewöhnliches einfallen lassen, um Leser oder Besucher zu ködern?
Nicht zwingend. Ich würde darauf vertrauen, dass es doch eigentlich mehr die Leser/innen oder Besucher/innen sind, die das Angebot suchen und filtern, und weniger umgekehrt. Denn wenn man mit „völlig Außergewöhnlichem zu ködern“ versucht, verändert sich letztlich mehr die Art der Zielgruppe als ihre Größe – was ja durchaus auch interessant sein kann. Insgesamt würde ich aber gerade in der Lyrikszene nicht von einem Überangebot sprechen; in der Berliner Technowelt bspw. sieht das schon anders aus.
Die Vernetzung von Schriftstellern wird vereinfacht, der Austausch wird immer lebendiger und vielfältiger. Denkst du, das Internet führt durch die sukzessive Vernetzung auch zu einer Demokratisierung der Literaturszene?
Nein, und das liegt wiederum am Buch. Letztlich hat der hierarchische Aufbau der Literaturszene durch das Internet einfach einen breiteren Unterbau erhalten, in dem nun allerdings tatsächlich bessere und intensivere Vernetzung herrscht. Dennoch wird es kaum dazu kommen, dass Suhrkamp-Lektoren auf keinVerlag.de nach Nachwuchs stöbern, und das ist nachvollziehbar. Schließlich sind auch bei Zeitschriften die Anfragen stets höher als die Nachfrage.
Der Lyrikzirkel G13, in dem du dich auch bewegst, hat einen Blog, der stetig mit neuen Gedichten von euren Mitgliedern gefüttert wird. Würdest du sagen, dass das Internet eine Möglichkeit für unbekannte Autoren eröffnet, sich abseits der Szene, der Lesebühnen oder Zeitschriften zu etablieren?
Sich abseits der Szene etablieren – die Antwort darauf muss in unserem Falle so paradox wie die Frage sein: Ja und nein. Zunächst ist es so, dass unser Blog primär deshalb ins Leben gerufen wurde, um einen besseren Austausch unter den Mitgliedern zu ermöglichen, da es uns kaum je alle an einem Ort hält. Er war und ist also weniger als eine Repräsentationsplattform im Stile des Poetenladens gedacht, sondern mehr als Netzwerk eines dynamischen Austauschs von Poesie und Poetologie. Je mehr von uns aber in Lesungen oder Zeitschriften aktiv wurden, desto mehr wurde auch der Blog zum Medium, sich einen Eindruck von uns zu verschaffen – die zurzeit ca. 10000 externen Zugriffe in knapp zehn Monaten zeugen davon. Trotzdem glaube ich, dass diese Art von Text-Veröffentlichung einem ‚Etablieren‘ im eigentlichen Sinne auch im Wege stehen kann: Der open mike bspw. lässt ausschließlich Texte zu, die auch im Internet noch unveröffentlicht sind – was ich, gelinde gesagt, ziemlich engstirnig finde.
Auf eurem Blog muss man immer etwas suchen, bis man herausfindet, von wem überhaupt der Text ist, den man grade gelesen hat. Ist diese so entstehende Anonymisierung der Texte beabsichtigt?
Die/den Autor/in findet man jeweils unter „Tags“ neben dem Text. Dass das nicht so offensiv dargestellt ist, finde ich deshalb schön, weil dadurch der Text im Zentrum steht, und nicht sofort nach Verfasser/in selektiert werden kann. Trotzdem ist es wichtig, diese kenntlich zu machen, weil wir eine sehr heterogene Gruppe sind und bleiben wollen. Ziel ist es, dass sich jeder auf seine Art entwickeln kann, nicht, dass unsere Texte untereinander austauschbar werden.
Interessant finde ich bei dir, dass du ein Pseudonym verwendest. Wieso? Meinst du, es ist dir trotzdem möglich, dir ‚einen Namen zu machen‘? Oder zielst du etwa grade darauf ab? Bei einer google-Suche habe ich schließlich mit „Tristan Marquardt“ mehr Erfolg als mit deinem bürgerlichen Namen.
Um es ehrlich zu sagen: Zunächst war meine Entscheidung für das Pseudonym aus Gründen der Abgrenzung von eigenem älterem Geschriebenen eine ziemlich naive. Mittlerweile habe ich begriffen, was es für Nachteile mit sich bringt. Ein Pseudonym gilt im literarischen Umfeld primär als arty und ist es deshalb auch. Dennoch hat gerade die damit in Zusammenhang stehende Art und Weise, wie man im Allgemeinen mit Namen umgeht, dazu geführt, das Pseudonym erst recht zu beizubehalten: Autor-Namen garantieren einen vermeintlichen Sinnzusammenhang zwischen Mensch und Text, worin weit mehr liegt als eine simple Verfasserzuschreibung. Originalität (1), Authentizität (2) und Kontinuität (3) sind hier nur einige Stichworte: Spätestens seit der Romantik erwartet man sich von Schriftsteller/innen, dass sie – weil durch höhere Inspiration angeregt – ‚Einzigartiges‘, ‚Originielles‘ schaffen (1), und zwar aus einem inneren Drang, einem Nicht-Anders-Können (2), und dass sich dabei durch ihr Lebenswerk ein roter Faden, ein Sinnzusammenhang zieht (3). Mit der Wahl gerade dieses Pseudonyms geht es mir darum, diese Prozesse wenigstens reflektiv zu halten – auch weil es für meine Lyrik eine große Rolle spielt. Zwar habe ‚ich als Mensch‘ weder etwas zu verbergen, noch zu exponieren. Dass das Pseudonym eine solche Vermutung aber nahe legt, verdeutlicht letztlich, was für alle Namen gilt: Sie sind stets mehr als nur simple Zuordnung.
Inwiefern benutzt ihr das Internet nicht nur als Plattform, sondern integriert es auch in eure Arbeit?
Die Integration ist ein guter Punkt: Gerade hier liegt vielleicht der zentrale Aspekt einer produktiven Begegnung von Literatur und Internet – ein Potential, das es größtenteils noch auszuschöpfen gilt. Denn man kann das Internet ja nicht nur als Plattform, sondern auch als Medium für lyrische Verfahren nutzen. Zwei kleine Beispiele: Erstens lässt sich etwa durch Hyperlinks die Grenze des traditionellen Text-Begriffs hin zu einem verwobeneren Gefüge überschreiten: betrachten sie die fauna im taunus. Zweitens hat das Internet die Formen der Wissensgenerierung und -sicherung verändert. Diesbezüglich liege ich gerade mit Wikipedia im Clinch. Nachdem ich immer wieder so großartiges Wissen von dort wie etwa der kranich ist ein vertreter aus der familie der kraniche lyrisch verarbeitet habe, hatte ich nun das Vorhaben, eine Wortschöpfung aus einem neueren Text durch einen selbst verfassten Wikipedia-Artikel „real“ und „wahr“ werden zu lassen. Zwar scheitere ich zurzeit am Fake-Filter, aber es wird sich schon noch eine Möglichkeit finden lassen, ihn mit ebenfalls fingierten Quellen zu umgehen.
Würdest du die digitale Poesie und den Umgang und die Integration des Internets als eine Ausprägung spezifisch ‚junger‘ Schriftsteller sehen?
Als Gegenstand der Thematisierung wohl schon. Wenn es aber um die angesprochenen Verfahren und Funktionsweisen des Internets geht, ist es, glaube ich, altersunabhängig eher generell experimentelle Lyrik, für die sich eine Arbeit mit dem Internet anbietet. So arbeitet ja z.B. Ulf Stolterfoht, den ich zwar noch nicht als alt, aber auch nicht mehr als jung bezeichnen würde, seit Jüngstem täglich an einem „Systemgedicht“ im Internet (siehe Link unten).
Was sind deiner Meinung nach die lohnenswertesten, interessantesten oder informativsten Internetseiten, was Literatur angeht?
Ich kann zwar kompetent nur für Lyrik sprechen, verweise da aber unumwunden auf das noch neue Blog-Gefüge BRUETERICH TM, in dem sich tägliche Dosen antisemantischer Impulse, eine Online-Zeitschrift, alter Körper – geladen mit Hass u.v.m. verweben. Ansonsten lässt sich der Tag wunderbar auf Lyrikline, dem Poetenladen, Lyrikkritik, Lyrikzeitung usw. usf. vertreiben. Zudem gibt’s ja ohnehin alle Infos auf uschtrin.de, und wenn dann noch Leute wie ihr dazu kommen, die ihren Blog nicht nur zur Promo, sondern auch für Inhaltliches nutzen, lohnt sich das Surfen umso mehr.
Vielen Dank für das Gespräch und bis hoffentlich bald wieder bei KREUZWORT.
Schlagwörter: Internet, Interview, Kristoffer Cornils, Literatur, Tristan Marquardt