Archiv | Dezember, 2012

KREUZWORT am 10.12. mit BECKER, BUßMANN, KEMPKER & MAHLKE

3 Dez

Die Vorweihnachtszeit hat ja bereits vor ca. sechs Monaten angefangen, jetzt aber geht’s in die heiße (oder eben nasskalte, Ansichtssache) Phase: Mir zumindest glühen schon die Apfelöhrchen und Schweinsbäcklein vor Freude, wenn ich dran denke, dass bald die schöne Zeit beginnt, in der a) die Radiostationen Last Christmas auf heavy rotation setzen, damit die Menschen ein gediegenes Thema für hasserfüllten Small Talk haben, b) alle über Konsum jammern, c) alle so tun, als würden sie nur in meta-ironischer Manier über Konsum jammern und eigentlich voll drüber stehen und d) das Christkindl mir Videospiele mit Fokus auf hirnloser Gewalt aus dem Himmelreich direkt unter den Baum entsendet (ich kenn mich da nicht aus, nehme aber gerne jedes an – ständig Katzenbilder im Internet anschauen ist unzureichend, ich brauch Abwechslung!). d) wird wohl nicht eintreten.

Die bessere und weitaus sozialverträglichere Alternative zum verkniffenen CPU-Fragen ist ja so oder so ein Besuch bei Kreuzwort. Am Montag, dem 10.12. gibt’s wieder Literatur zum Anhören, diesmal mit vier Mal Prosa. Hannes Becker, Nina Bußmann, Kerstin Kempker und Inger-Maria Mahlke schauen bei uns im Damensalon in der Reuterstraße 39 vorbei und trinken vielleicht das eine oder andere Bier, auf unser dringliches Anraten bestimmt auch einen Gin Basil Smash, mit uns. Übrigens: Einlass ist wie immer um 20h, los geht es genau zwei große Krusovice später. Jedes Bier ist mit 2,90€ übrigens unerheblich günstiger als der Eintritt, der sich wie gewohnt auf 3€ beläuft. Da bleibt immer noch genug Geld übrig, um Socken und Unterhosen en masse für alle hobbylosen Großonkel zu kaufen, wette ich.

Hannes Becker, 1982 in Frankfurt am Main geboren. Studierte Neue deutsche Literatur, Amerikanistik und Geschichte in Berlin und Literarisches Schreiben in Leipzig. Lebt in Berlin, schreibt Prosa und Theaterstücke, und übersetzt aus dem Englischen, u.a. Caryl Churchill, Pamela Carter und Wayne Koestenbaum. Beiträge auf www.dasuntergehendeschiff.blogspot.de.

Auszug aus Aufruhr der Herzen:

Ich begann also doch und erzählte, was ich wußte, nicht viel.

„Also, warum ist es so wichtig zu sagen, wo alle immer gewesen sind?“

„Nein, nicht, wo alle immer gewesen sind, sondern was das für Orte waren, die sie dafür bestimmt hatten. Es ist nicht so wichtig…“

„Hm.“

„Ob sie da auch in Wirklichkeit waren.“

„Aber das ist doch das Entscheidende.“

„Nein“, sagte ich.

Das Gerät auf dem Tisch, mit seinen Ausläufern in den Raum hinein, halbwegs auf den Boden hinab, verströmte ein sanftes Licht, das kurz alles erhellte, die Schränke, die Arbeitsflächen, die Fensterbänke, Regale, Oberflächen, die Hängevorrichtungen, Ablageflächen, und nur sein Gesicht, das er wie in einen Trichter hinein zwischen seinen Händen hielt, im Dunkeln ließ.

„Doch“, sagte er.

Nina Bußmann,* 1980; Prosa, zuletzt in: BELLA triste #33, EDIT#60 sowie in der Anthologie Wie immer unverhofft (Suhrkamp). Das Debüt Große Ferien erschien in diesem Frühjahr.

Ich zeige ihn niemandem. Er ist noch zu scheu. Oft weiß ich ja selbst nicht, wo er steckt. Auch meine Freundin, die nun schon seit Tagen bei mir wohnt und nicht gehen will, hat ihn anfangs nicht zu Gesicht bekommen, nichts gerochen, sie hat ihn nicht einmal gehört. Es gibt ihn gar nicht, du versteckst etwas ganz anderes in diesem Zimmer, sagte sie zu mir und lachte laut heraus, und ich riss mich zusammen und lachte mit ihr, nicht ohne auf seinen blankgeleckten Napf zu zeigen, auf die Kratzspuren an den Tapeten im Flur, Haare, die aufflogen, als ich auf ein Sitzkissen klopfte. Sie ist meine Freundin, eine meiner ältesten Freundinnen, seit der Schule kennen wir uns, aber sie ist nun einmal zu laut für ihn, selbst wenn sie nicht spricht, ist sie zu laut. Er ist zu scheu, und er gehört mir nicht, er gehört wieder anderen Freunden, eine komplizierte Geschichte; ich könnte mir nicht verzeihen, wenn etwas passierte. 

Kerstin Kempker, 1958 am Rosenmontag in Wuppertal geboren, besuchte in Mainz die Klosterschule, wurde in Nürnberg Industriekaufmann und in Hannover Mutter. Nach Berlin kam sie 1984, studierte dies und das, leitete das Weglaufhaus, verfasste einschlägige Bücher und trat zur Belletristik über.

Auszug aus dem Roman Das wird ein Fest, erschienen 2012 im Verlag Nimbus. Kunst und Bücher, Wädenswil:

Ein Flattern war das auf dem Balkon, sagte der Hausmeister, wie Vögel, die schlagen mit den Flügeln und kommen nicht weg. Es war ja schon dunkel. Dieser Geruch und das Geflatter. Plötzlich war es so still. Einer der Brüder griff in ein altes Tonband. Sprich mit mir! Ich bin deine Frau, durchschnitt eine Stimme den Raum; scharf, sagte der Hausmeister, wie Kreissäge, feines Blatt, hohe Frequenz.Die Männer machten Licht, traten über Abfall und Ungeziefer in den Flur und öffneten die klemmende Schlafzimmertür. Einer
knipste Licht an, sie starrten aufs Bett. Der jüngere der Brüder soll seitdem immer nur einen Satz sagen: Ist nicht wahr! Ausgestreckt auf dem Doppelbett lagen die Kleider der Frau W. so, als habe sie eben noch in ihnen gesteckt. Aufgeplusterte Sachen, sagte der Hausmeister. Besonders erwähnte er den halsrund geöffneten, speckigen Kragen der weißen Bluse und die Puffärmel mit ihren ebenfalls kreisrund offen stehenden Enden.

Inger-Maria Mahlke, geboren 1977 in Hamburg, in Lübeck aufgewachsen, lebt in Berlin. Studium der Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin, Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. 2005 Teilnehmerin einer Werkstatt für Nachwuchsautoren unter der Leitung von Herta Müller, 2008 Autorenwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung, 2009 Autorenwerkstatt des LCB und Preis für Prosa beim 17. open mike. 2010 Veröffentlichung des Debutromans Silberfischchen im Aufbau Verlag, für den sie im selben Jahr den Klaus-Michael Kühne Preis erhielt.
2011/2012 Stipendiatin der Stiftung Preussische Seehandlung.

Reinlesen könnt ihr hier.