Tag Archives: Prosa

KREUZWORT am 9.12. mit crauss., Jan Skudlarek und Chloe Zeegen

4 Dez

Immerhin: Es hat noch nicht geschneit und Berlin fröstelt nur gräu(s)lich vor sich hin, statt im Schneewasserdreckmatsch zu ersaufen. Das sind doch, den Umständen entsprechend, gute Nachrichten. Und es ist mal wieder Kreuzwort, was für euch – da lass ich nichts anderes gelten – umstandslos gute Nachrichten sind. Diesmal freuen wir uns auf drei bekannte Gesichter. crauss. hatte bereits vor einiger Zeit bei uns gelesen und damals schon Jan Skudlarek im Schlepptau. Der allerdings ist ja schon vorher und nachher immer schon unser liebster Stammgast (sorry an alle anderen!) gewesen. Jan beziehungsweise der Arbeit des famosen STILL-Magazins, in deren Redaktion er sitzt (obwohl die, so vermuten wir, eher im Liegen arbeiten), haben wir es auch zu verdanken, dass wir auf Chloe Zeegen aufmerksam wurden. Sie las im Juni bei uns und ist nun mit einer anderen Geschichte aus ihrem soeben bei mikrotext erschienenen eBook I love myself ok? dabei. Jan hat auch vor Kurzem sein Debüt vorgelegt: elektrosmog ist kürzlich bei luxbooks veröffentlicht worden und kann bei uns vom Büchertisch weggegrabbelt werden. Und crauss.? Der hat doch mindestens fünf neue Bücher in die Diskurssuppe gespuckt, seitdem er vor anderthalb Jahren bei uns eine Lakritzvergiftung erlitt. Schönheit des Wassers zum Beispiel, im stets verlässlichen Verlagshaus J. Frank.

Also, wen von den Dreien sollten wir nun ins Rampenlicht rücken? Wie immer: Alle. Vor allem aber den Spaß. Das ist der Vierte im Bunde. Er kommt gegen 20h pünktlich zum Einlass in den Damensalon in der Reuterstraße 39 (leicht zu erreichen von der U Hermannplatz oder der U Schönleinstraße) und trinkt dort ein paar Gin Basil Smash, bis um 21h, wenn die Lesung beginnt. Neben dem Schnapsbudget hat er natürlich auch die 3€ Eintritt einstecken. Ist ja ein smoother Bursch, dieser Spaß. Ihr solltet ihn kennenlernen, ernsthaft. Und nebenbei natürlich noch einer schönen, abwechslungsreichen Lesung beiwohnen, die euch mit viel Feel-Good-Molekülen den Solar Plexus wärmen und den Grauschleier von der Stadt reißen wird. Versprochen.

P5307795-(Crauss-2013)locrauss., *1971 in Siegen / D, lebt dort. Literaturstudium, Dozent für Kreatives Schreiben, Museumstänzer, Werbetexter, Postsortierer. Mitglied verschiedener Literaturgruppen; ausgezeichnet mit Stipendien und Literaturpreisen. Letzte Veröffentlichungen: MOTORRADHELD (prosa, 2009), LAKRITZVERGIFTUNG (juicy transversions, 2011) und SCHÖNHEIT DES WASSERS (gedichte, 2013). Mehr auf www.crauss.de

crauss trance

1427851Jan Skudlarek, geboren 1986, wohnhaft in Berlin. Sein Gedichtband »elektrosmog« erschien vor Kurzem bei Luxbooks. Als Kreuzwortstammgast freut er sich, sein Buch vorstellen zu dürfen.

herrenlosigkeit Chloe Zeegen, born 1980 in the United Kingdom, gave up a successful career in arts management in London to move to Berlin in early 2012 and focus on her work as an artist and writer. Her writing is published online and has recently appeared in the debut issue of STILL magazine for young literature and photography. Her first ebook I love myself ok? was recently published by mikrotext.

Excerpt from Bierpinsel and Fuck Trauma

It’s called the Bierpinsel and I didn’t know it was in Steglitz until I moved there but I would have moved here if I’d known it was here so it’s a good job I moved there. Isn’t it? Isn’t it. Say it so I can hear you. I can see it from my flat and I can see it when I walk down the street and I can see it when I come in from the snow. Did you hear the one about the man who went into the field and it was snowing and there was all that stuff about stolen money?

Some people preferred it before it was repainted but I like it now that it’s all dolled up. When I’m far away from it, I can see it’s frightening but when I’m close to it, it charms me into accepting something.

Mit Chloe habe ich mich selbst übrigens mal über den Bierpinsel unterhalten, Nikola Richter von mikrotext hat es mitgeschnitten und das Video gestaltet sich so:

Lesung Weltklang 2014 a.k.a. KREUZTORP am 14.10. mit RAMMSTEDT, SCHOCH und WINKLER

5 Okt

Hä, Weltklang? 2014? Nein, keine Sorge, so sehr haben wir uns während der Kreuzwort-Auszeit nicht das Hirn aufgeweicht. Obwohl, doch, ein bisschen vielleicht. So oder so: Wir stehen ja zu unseren Wörtern, deswegen kriegt der prachtvolle Ron Winkler auch das, was ich ihm mal auf Facebook versprach:

Ron Winkler Torp

Und deswegen heißt unsere Comeback-Veranstaltung jetzt eben Weltklang 2014. Klar? Es trifft sich natürlich schön, dass besagter Torp natürlich auch dabei sein und eventuell sogar prügeln wird. Keine Sorge, dabei handelt es sich nicht um das Wettspielportal TORP – Tennis Online Rheinland-Pfalz, sondern um diesen munteren Burschen. Jetzt mit noch mehr neuen Wimpern. Und nicht nur das Törpchen wird Ron bei der inoffiziellen Buchpremiere slash 3-Jahre-Kreuzwort-Sause begleiten, sondern auch Tilman Rammstedt und Julia Schoch, die sich ebenfalls am 14. Oktober bei uns die Ehre geben werden. Äh, wo noch mal? Achja, im Damensalon in der Reuterstraße 39 (Nähe U Hermannplatz oder Schönleinstraße). Und wie war das noch mal, wann fangen wir für gewöhnlich an? Achja, um 20h beginnt der Einlass und ab 21h geht es dann pünktlich mit der Lesung los. Die 3€ Eintrittsmoney solltet ihr zu allem Überfluss nicht vergessen und ruhig noch etwas mehr einstecken, denn schließlich habt ihr sicherlich seit Ewigkeiten keinen Gin Basil Smash mehr getrunken und solltet dementsprechend einiges nachholen. Wir machen auch mit, versprochen.

 

Tilman Rammstedt wurde 1975 in Bielefeld geboren und lebt in Berlin. Er studierte eine ganze Reihe von Dingen in Edinburgh, Tübingen und Berlin. Statt einer Magisterarbeit schrieb er aber sein erstes Buch.

Julia Schoch, 1974 in Bad Saarow geboren, aufgewachsen in Mecklenburg. Lebt in Potsdam. Studium der Germanistik und Romanistik. Sie veröffentlichte im Piper-Verlag Der Körper des Salamanders (2001), Verabredungen mit Mattok (2004). Ihr Roman Mit der Geschwindigkeit des Sommers (2009) war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Zuletzt erschien Selbstporträt mit Bonaparte. Sie erhielt u.a. den Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb und den André-Gide-Preis für Literaturübersetzungen.

aus: Steltz & Brezoianu – Ein Mosaik für Leidenschaftliche, 2007

 

Berlin/ Belém (via Frankfurt a.M. und Brasilia)

Brezoianu brachte Steltz, die zu einer weiten Reise aufbrach, zum Flughafen. Bevor sie durch die Paßkontrolle davonging, verabschiedete er sich von ihr: Ich liebe dich.

Wie sonderbar, daß du diesen Satz noch nie bei meiner Ankunft gesagt hast, erwiderte Steltz und strich nachdenklich über Brezoianus breite Koteletten.

Ron Winkler, 1973 im Bezirk Gera geboren und aufgewachsen mit Blick auf fremde Äpfelbäume und einen Bergsturz. Sechsjährige Ausbildung zum Judoka, sporadische Teilnahme an der Schülerakademie (»Tarnung, Warnung und Signal: Die Farben der Tiere«) und mit einsetzender Adoleszenz Engagement in den FKR Literatur und Sozialistische Landesgestaltung (Pflege eines Orchideeotops). Diverse Besuche der Großeltern mittels eines Ikarus 66. Ungesühnte Straftaten: Inbrandsetzung einer Mülldeponie (Zetti-Süßwaren-Tüten-Fehldrucke, Chemikalien, künstliche Nieren, Hausmüll).
Ron Winkler hat eine Leerstelle für Torp und widmet sich neuerdings der sinnlichen Katzendokumentation.

Jetzt draußen: Prachtvolle Mitternacht (Schöffling & Co.) sowie Torp. Neue Wimpern.

Torp war in eine Familie Torp hineingeboren worden. Sein Vater war lange Zeit dritter stellvertretender Direktor beim Zirkus Horoscopani. Sein Vater hatte schon als junger Mann den Fujimanjaro bestiegen. Sein Vater hatte Brauen groß wie die Raupen des Tagpfauenauges. Sein Vater litt an chthonischem Husten. Sein Vater hatte auf Schaukeln wippen können. Sein Vater fand die Nanosekunde schön. Sein Vater vermochte die jeweilige Stunde
am Klang der Stadt zu erkennen. Seine Mutter aber war etwas Besonderes.

KREUZWORT/CROSSWORD Saisonfinale mit DOUGLAS-MOORE, HEROLD, ZEEGEN am 10. Juni

4 Jun

Das Poesiefestival bricht bereits am Freitag über Berlin herein und es ist uns egal. Naja, so halb. Oder eigentlich gar nicht. Zumindest jedoch starten wir den Gegenangriff in Form des Kreuzwort-Saisonfinales. Richtig: Wir haben keine Lust mehr und läuten die Sommerpause ein. Sie dauert solang, wie wir das für richtig empfinden. Isso!

Wir freuen uns auf einen bilateralen Abend mit Ian Douglas-Moore, Tobias Herold und Chloe Zeegen, die uns am 10. Juni im Damensalon in der Reuterstraße 39 beehren werden. Einlass wie gewohnt um 20h, Lesung beginnt pünktlich um 21h. 3€ Eintritt sind ebenso mitzubringen wie ein bisschen Öl für die quietschende Tür (hatte ich erwähnt, dass es wirklich pünktlich losgeht?). Eigentlich sollte ich hier noch mehr schreiben, vielleicht sogar was „Lustiges“ wie sonst auch (?). Sorry, kein Bock – Sommerpause ist notwendig, ihr seht das schon noch ein.

For all you English speaking people out there: Ian Douglas-Moore, Tobias Herold and Chloe Zeegen will be our guests at this season’s last Kreuzwort on 10th June  at Damensalon, Reuterstraße 39 (near Hermannplatz/Schönleinstraße). Entrance at 8pm, reading starts at 9pm sharp. Bring 3€ for us and enough for some beer, wine or Gin Basil Smash (highly recommended!). And don’t forget to tip or hilarity will ensue.

Ian Douglas-Moore lives in Berlin, where he plays music in bands like Church Car and the Sacred Travelers and writes occasionally.

Excerpt from „white, round“:

Look at this thing. Here it is. It’s kind of important I mean I think it might be kind of important so you should look at it. I was on the train and I thought of this thing and I thought you should look at it and I mean. But it’s in my head so I mean, you should look at it though. I’ll try to show it to you. Look. Do you see it? When it was warmer, the weather I mean, not what I want you to see, when the weather was warmer we went swimming in a lake. There are many lakes around here and some of them are very long and narrow. Some of them are round and sometimes we went swimming in one of them. It was warmer but not so warm.

Tobias Herold, *1983, liest aus den Lyrikbänden „Kruste“ und „Ausfahrt“ sowie neue, unveröffentlichte Prosagedichte. Er lebt in Berlin und veranstaltet zusammen mit Alexander Filyuta die Reihe „Lyrik im ausland“.

Ohne Hirn
keine Gespinste, keine
Seele, die man baumeln
lassen könnte, und auch

nicht dieses todschicke
Kostüm aus Nerven,
das du zum Mantel des
Schweigens so gern trägst.

Chloe Zeegen (b. 1980 in the United Kingdom) gave up a successful career in arts management in London to move to Berlin in early 2012 and focus on her work as an artist and writer. Her writing is published online and has recently appeared in the debut issue of STILL magazine for young literature and photography.

I go to a bar on Oranienstraße. There’s some random there and we chat for a bit but pretty soon he’s like just moved here have you? think you’re an artist? it’s people like you who are destroying Berlin you fucking tourist. I laugh in his face give him the finger but I don’t just give him the finger I pretend to run my tongue over it up and down to show him just how much of a creative little bitch I am and that really pisses him off and his friends are like leave it leave it. When I get home my spell check is like wtf babe I can tell you’re trying to say something but I can’t figure out what. I consider uploading my entire fucking life to first-world-problems.com but I don’t because that’s bullshit. I reflect an image in Photoshop and it creates a skull. I Google ‘Facebook Star’ and take a screenshot because the returns are irrelevant. I update my status to find everlasting life and I tell you I mean it and I tell you it’s real.

KREUZWORT RE-COVERED am 08.04. Mit: GUGIĆ, HARTZ, MARFUTOVA, RÜHLE und WENRICH

3 Apr

Als notorischer Underachiever gönne ich per se niemandem gar nichts. Erst recht nicht die erste Buchpublikation. Wenn Carolin dann eine Anthologie veröffentlicht, zucke ich selbstverständlich nur mit der frühlingskalten Schulter und schieße spitzmündig spöttische Pointen in ihre Richtung: „Naaa, bist du jetzt (Hrsg.)?“ oder „Guck mal, da ist ja ein Porträtfoto von dir drin.“ Sowas in der Art eben. Muss ich noch dran feilen. Dabei bleibt mir wenig Zeit, denn bereits am 8. April werde ich mit weißweinschwangerer Artikulation ziemlich viel Neid nattern müssen. Dann feiert RE-COVERED Buch-Release bei Kreuzwort!

So sieht doch kein Buch aus! Wenn Gutenberg das noch erlebt hätte!

Um euch einzuweihen, damit ihr an diesem neo-winterlichen Montag an meiner Seite die Lästerzungen zum rotieren bringen könnt: RE-COVERED ist ein Projekt, das auf eine Veranstaltung aus der außerbetrieb-Reihe zurückgeht. Nachdem im Verlag Lettrétage bereits mit der Anthologie Covering Onetti den Wahlspruch OnettisKlaut, wenn nötig. Lügt immer.“ beim Wort nahm und ein paar exzellente Prosa-Covers versammelte, wurden diese Covers wiederum Gegenstand von jungen AutorInnen . Carolin schreibt dazu:

„Es ist der stete Neubezug, der die hier versammelten Versionen des Erzählten in ihrer Vielfalt und Eigensinnigkeit vereint. Vier Erzählungen des uruguayischen Autors Juan Carlos Onetti setzten vor vier Jahren ein einmaliges Schreibprojekt junger deutschsprachiger Autorinnen und Autoren in Gang. Seitdem entstanden über 30 Coverversionen – Paraphrasen, Parodien, Aktualisierungen, Annäherungen und Abstoßungen – alle einmalig in ihrem Ansatz. Nach der ersten Ausgabe Covering Onetti liegen mit Re-covered nun 22 Texte vor, die nicht mehr nur Onettis Texte sondern auch die vorangegangenen Coverversionen sampeln. Diese Anthologie versammelt die literarischen Stimmen von morgen.

Hat sie aber bestimmt nicht mal selbst geschrieben. Die Texte im Buch sind ja auch nicht von ihr. Sondern von Mario Apel, Luise Boege, Silke Eggert, Jens Eisel, Sandra Gugic, Philipp Günzel, Bettina Hartz, Roman Israel, Katharina Kaps, Thorsten Krämer, Georg Leß, Babet Mader, Yulia Marfutova, Tom Müller, Laetizia Praiss, Sascha Reh, Donata Rigg i. A. das Autorinnenkollektiv, Marc Oliver Rühle, Martin Spieß, Gerhild Steinbuch, Florian Wacker, Robert Wenrich und Daniel Windheuser.

Schwache Leistung, Carolin!  Lässt dir auch noch die Texte schreiben, pffffffff. Wirst bestimmt mal Ministerin bei einer konservativen oder liberalen Partei. Ich wiederhole: Pffffffff. Und am 8. April wirst du sie dann nicht mal selbst lesen. Stattdessen stellen Sandra Gugic (die tatsächlich mit einem c mit Akut geschrieben wird, was unser WordPress aber leider nicht so gern anzeigen mag), Bettina Hartz, Yulia Marfutova, Marc Oliver Rühle und Robert Wenrich ihre Texte vor.

Ihr alle könnt euch nach dem Einlass ab 20h neben mich an die Bar setzen und wir strafen Carolin bis zum pünktlichen Beginn um 21h mit missgünstigen Blicken aus unseren Giftglubschern. Ihr erkennt mich leicht: Ich bin der mit dem leeren Gesicht ohne nennenswerte Talente, Eigenschaften oder Buchveröffentlichungen. Aber mal ernsthaft: 3€ Eintritt will die rosenfingrige Turbokapitalistin auch noch! Obwohl, Preis/Leistung stimmt da schon irgendwie. Und immerhin: Im Damensalon in der Reuterstraße 39 gibt es ja das mit beste Bier Berlins und außerdem noch den traumhaften Gin Basil Smash. Rettet einiges! Die Texte könnten sicherlich ebenfalls gut werden, aber das kann ich nicht sagen – ich les das doch nicht! Pfffffff. Okay, vielleicht doch. Klingt ja doch alles ganz interessant so. Aber wenn, dann nur mit Hassmaske drauf.  Sieht meinem Gesicht übrigens zum Verwechseln ähnlich.

Sandra Gugic, in Wien geboren, schreibt Prosa, Lyrik und Theatertexte. Studium an der Universität für Angewandte Kunst und am deutschen Literaturinstitut Leipzig. Preise und Stipendien u.a.: 2010/11 Staatstipendium für Literatur des bm:ukk; 2012 open-mike-Gewinnerin sowie Preis der Akademie Graz. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien u.a.: kolik, tippgemeinschaft, wortwuchs. Derzeit lebt sie in Berlin und Wien.

Sputnik oder: I’m just an animal, looking for a home (Auszug)

[…] Das einzige Licht vor dem Supermarkt ist matt und gelblich, die Laternen ganz hinten haben wir kaputtgeschossen, vor Wochen schon, der hintere Bereich des Parkplatzes wird von der Dunkelheit verschluckt. Wir hocken hinter den Mülltonnen und warten, schwarze Hosen, schwarze Kapuzenpullover, Autoscheinwerfer streifen uns, sie spielt mit ihren Haarspitzen, ich sage nein und wiederhole: nein, aber sie kichert nur nervös und sagt: In fünf fangen wir an. dann laufen wir geduckt über den Vorplatz, ich klemme ab, und sie kappt das dicke Stromkabel, ich löse die Schrauben, das geht schneller als in meiner vorstellung, aber dafür ist das ding viel schwerer, als wir gedacht haben, sie nimmt den vorderen Teil, Kopf und Vorderbeine, ich das schwere Hinterteil mit dem seitlich angebrachten Münzbehälter, als wir es anheben, sacke ich unter dem Gewicht zusammen und beginne augenblicklich zu schwitzen, ich wiederhole: nein, und sie: ja. Die Münzen im Behälter klimpern, als wir das rosa Plastikschwein dann doch, zwischen Ächzen und Kichern, über den Parkplatz schleppen, ich bekomme Seitenstechen, muss mich konzentrieren, damit mir das rosa Ungetüm nicht aus meinen feuchtkalten Händen rutscht, unser Laufschritt verlangsamt sich in die zeitlupe, ein Standbild im weißen Licht einer Taschenlampe, die auf uns gerichtet wird. […]

Bettina Hartz, geboren 1974 in Berlin. 1994 bis 1999 Studium der Germanistik, der Musik- und Theaterwissenschaften. Seit 1999 Schriftstellerin und freie Kulturjournalistin (u.a. für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und den Freitag). 2002 Nominierung für den manuskripte-prosa-preis, 2006 Stipendiatin der Prosawerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin, 2013 Writer in Residence in Split (Kroatien). Reisebuch Altfundland – Ansichten von Italien (2006), Erzählung Nicht viel (2007) und Poetik des Radfahrens Auf dem Rad (DVA, 2011). Derzeit Arbeit am ersten Roman sowie an einem Theaterstück über die Occupy-Bewegung.

Träume (Auszug)

Träumte,

drückte mich in den Schlamm, die Hufe, die Pferdeleiber über mich hin, sie streiften meine Schultern, mit den rauen Kanten ihrer Eisen, ich drückte den Kopf noch tiefer, hielt den Körper so flach wie möglich, drei, vier waren vorüber, wenn nur keines hängen blieb, wenn nur keines stürzte, für sie war ja alles eins, Schlamm, Weg und ich, die sich hineindrückte, flach machte, noch zwei donnerten über mich hinweg, ich wagte kaum zu atmen, noch ein letztes musste, duckte mich,
noch ein letztes, wenn ich mich nicht verzählt, duckte mich zu wenig, lauschte zu sehr, ein Vorderhuf riss mir die Schulter auf, aber das Pferd rannte weiter, mit prasselnden Hufen, frische nasse kalte Erde flog mir ins Gesicht, in den vor Schmerz offenen Mund,

ich erwachte, […]

Yulia Marfutova, geboren 1988 in Moskau, lebt in Berlin. Studium der Germanistik und Geschichte. 2007 Einladung zum Treffen junger Autoren, 2008 Stipendiatin der Stiftung Niedersachsen (Literatur Labor Wolfenbüttel), 2012 Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses, 2013 Alfred-döblin-Stipendium. Veröffentlichungen in Zeitschriften (u.a. lauter niemand und um[laut])und in Anthologien (u.a. Der Horizont hängt schief und Destillate).

Jan dreht einen Film und wird gestört (Auszug)

Vorwärts, unter dem Kondensstreifen ducken und scharf um die Ecke, beschleunigen, unter dem S-Bahn-Bogen hindurch, jemanden streifen, wieder höher, wie reglos verharren in der Luft, aufgestützt auf die Aerodynamik, und hinabschnellen, in hundert Metern haben Sie Ihr Ziel erreicht. Das Auto, das ins Bild fährt, Zoom, ein Geräusch. Die Scheibe schlägt an die Taube.

Jetzt muss noch einmal von vorn gedreht werden, das heißt: noch ist lange nicht Feierabend. Die Taube, dieses Mistvieh, dieses, was soll das, ja was denn, was hat die Taube denn gesehen, dass sie das Auto nicht gesehen hat, dass sie nicht aufgepasst hat, dass sie jetzt einen Flügel hat, der nicht mehr mit dem Rest verbunden ist. Jan schimpft, schimpft in seinen Bart, die Scheibe wird geputzt und dann alles auf Anfang. Auf Anfang fährt das Auto ins Bild, Zoom, aber da liegt ja
noch der Flügel, dieser Flügel, warum ist der noch nicht weg. Alles auf Anfang, schon wieder, Auto ins Bild, Zoom, ja, ja, endlich Szene 2. […]

Marc Oliver Rühle, geboren 1985 in Dresden. Studium der Literaturwissenschaft in Leipzig und Cagliari/Sardinien, sowie des Kreativen Schreibens und des Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Arbeitet als Freier Journalist für diverse Print- und Onlinemedien. Gehört der Künstlergruppe ATLAS an, deren Mitbegründer er ist. Letzte Veröffentlichungen in poet 11, sowie online auf poetenladen.de und in Anthologien (u. a. In diesen Häusern (Hrsg. Paul
Brodowsky und Kay Steinke), Wiener Journal (gemeinsam herausgegeben mit Vea Kaiser), +100 (Hrsg. Guido Graf), Landpartie 11 und Landpartie 12) sowie in Zeitschriften wie Froh!.

IM

BEI

SEIN (Auszug)

[…] Ich ging alle meine Wörter durch: Welches würde frei bleiben, welches übrig – für jetzt? Ich konnte mich nicht entscheiden und kam nicht überein, einzelne Wörter gegeneinander auszutauschen, bevor ich weiterredete, auf König einredete. Der Reihe nach. Ich musste mir erklären, wozu ich jetzt noch für König in der Lage war. Nach all dem Ausprobieren, erfinden und Täuschen, welches mir auf der Zunge lag. Stoffe, Motive. An leichten Tagen ging ein Betrug ganz einfach vonstatten. Kontaktanzeigen der Gesten. eine Frage wie Woran denkst Du? leitete situative Sätze ein. Oftmals war das die Berechtigung für eine Lüge. Wie weit willst Du gehen?, dachte ich dann. Im Grunde war es mit König und mir dasselbe. Ich ging Beschreibungen für eine Gemeinsamkeit ab wie ein Supermarktregal. Ein Lachen dann über mich selbst, wie konnte ich mir anmaßen, König Worte in den Mund zu legen. Woher sollte ich wissen, was gut für ihn war? Etwas zu ahnen war wie nichts zu wissen. […]

Robert Wenrich, geboren 1983. Arbeitet als Konzepter in den Neuen Medien, schreibt hauptsächlich Prosa und Lyrik. Studium des Kreativen Schreibens in Hildesheim. Veröffentlichung in diversen Anthologien und in der BELLA Triste.

SYNCHROTRON BERLIN (Auszug)

I
Alles dreht sich – um die Gesellschaft – in dieser trinken Menschen zu viel – davon werden sie ganz schwer – belasten sich gegenseitig mit ihren Geschichten – diese Geschichten schlagen ein – wie Fliegerbomben – verheeren weite innere Landstriche! – Um das zu vermeiden – müssen Abwehrkräfte gebildet werden – Ablenkungsmanöver starten! – Einkaufen gehen! – Bei dieser Gelegenheit sprechen Menschen – das heißt: sprechen Männer Frauen an – alles dreht sich – und Menschen landen im Gefängnis – das ist ihr eigener Kopf! – Sie fahren im Anschluss pausenlos Fahrrad – oder essen sinnlos ein eis – oder schreiben pointierte Gedichte – bis am Abend bei Ihnen – die stärksten Herzprobleme einsetzen – sie wollen nicht abklingen – bis es draußen endlich dämmert – jetzt müssen Menschen Ringbahn fahren! –
Ringbahn heißt: Sie fahren im Kreis – Pferde laufen im Kreis. Mariendorf liegt ein wenig außerhalb, die hiesige Trabrennbahn hat leider keine Anbindung. Menschen wissen das, sie kommen kaum dorthin – und setzen dennoch alles auf ihre Ex-Freundin. Hier ein Foto aus der letzten Kurve: Auf dem Foto, das bin ich. Als Pferd. Man sieht mir die Erschöpfung nicht an, aber es ist meine Ex-Freundin, die mich gerade zu Tode reitet. […]

KREUZWORT am 10.12. mit BECKER, BUßMANN, KEMPKER & MAHLKE

3 Dez

Die Vorweihnachtszeit hat ja bereits vor ca. sechs Monaten angefangen, jetzt aber geht’s in die heiße (oder eben nasskalte, Ansichtssache) Phase: Mir zumindest glühen schon die Apfelöhrchen und Schweinsbäcklein vor Freude, wenn ich dran denke, dass bald die schöne Zeit beginnt, in der a) die Radiostationen Last Christmas auf heavy rotation setzen, damit die Menschen ein gediegenes Thema für hasserfüllten Small Talk haben, b) alle über Konsum jammern, c) alle so tun, als würden sie nur in meta-ironischer Manier über Konsum jammern und eigentlich voll drüber stehen und d) das Christkindl mir Videospiele mit Fokus auf hirnloser Gewalt aus dem Himmelreich direkt unter den Baum entsendet (ich kenn mich da nicht aus, nehme aber gerne jedes an – ständig Katzenbilder im Internet anschauen ist unzureichend, ich brauch Abwechslung!). d) wird wohl nicht eintreten.

Die bessere und weitaus sozialverträglichere Alternative zum verkniffenen CPU-Fragen ist ja so oder so ein Besuch bei Kreuzwort. Am Montag, dem 10.12. gibt’s wieder Literatur zum Anhören, diesmal mit vier Mal Prosa. Hannes Becker, Nina Bußmann, Kerstin Kempker und Inger-Maria Mahlke schauen bei uns im Damensalon in der Reuterstraße 39 vorbei und trinken vielleicht das eine oder andere Bier, auf unser dringliches Anraten bestimmt auch einen Gin Basil Smash, mit uns. Übrigens: Einlass ist wie immer um 20h, los geht es genau zwei große Krusovice später. Jedes Bier ist mit 2,90€ übrigens unerheblich günstiger als der Eintritt, der sich wie gewohnt auf 3€ beläuft. Da bleibt immer noch genug Geld übrig, um Socken und Unterhosen en masse für alle hobbylosen Großonkel zu kaufen, wette ich.

Hannes Becker, 1982 in Frankfurt am Main geboren. Studierte Neue deutsche Literatur, Amerikanistik und Geschichte in Berlin und Literarisches Schreiben in Leipzig. Lebt in Berlin, schreibt Prosa und Theaterstücke, und übersetzt aus dem Englischen, u.a. Caryl Churchill, Pamela Carter und Wayne Koestenbaum. Beiträge auf www.dasuntergehendeschiff.blogspot.de.

Auszug aus Aufruhr der Herzen:

Ich begann also doch und erzählte, was ich wußte, nicht viel.

„Also, warum ist es so wichtig zu sagen, wo alle immer gewesen sind?“

„Nein, nicht, wo alle immer gewesen sind, sondern was das für Orte waren, die sie dafür bestimmt hatten. Es ist nicht so wichtig…“

„Hm.“

„Ob sie da auch in Wirklichkeit waren.“

„Aber das ist doch das Entscheidende.“

„Nein“, sagte ich.

Das Gerät auf dem Tisch, mit seinen Ausläufern in den Raum hinein, halbwegs auf den Boden hinab, verströmte ein sanftes Licht, das kurz alles erhellte, die Schränke, die Arbeitsflächen, die Fensterbänke, Regale, Oberflächen, die Hängevorrichtungen, Ablageflächen, und nur sein Gesicht, das er wie in einen Trichter hinein zwischen seinen Händen hielt, im Dunkeln ließ.

„Doch“, sagte er.

Nina Bußmann,* 1980; Prosa, zuletzt in: BELLA triste #33, EDIT#60 sowie in der Anthologie Wie immer unverhofft (Suhrkamp). Das Debüt Große Ferien erschien in diesem Frühjahr.

Ich zeige ihn niemandem. Er ist noch zu scheu. Oft weiß ich ja selbst nicht, wo er steckt. Auch meine Freundin, die nun schon seit Tagen bei mir wohnt und nicht gehen will, hat ihn anfangs nicht zu Gesicht bekommen, nichts gerochen, sie hat ihn nicht einmal gehört. Es gibt ihn gar nicht, du versteckst etwas ganz anderes in diesem Zimmer, sagte sie zu mir und lachte laut heraus, und ich riss mich zusammen und lachte mit ihr, nicht ohne auf seinen blankgeleckten Napf zu zeigen, auf die Kratzspuren an den Tapeten im Flur, Haare, die aufflogen, als ich auf ein Sitzkissen klopfte. Sie ist meine Freundin, eine meiner ältesten Freundinnen, seit der Schule kennen wir uns, aber sie ist nun einmal zu laut für ihn, selbst wenn sie nicht spricht, ist sie zu laut. Er ist zu scheu, und er gehört mir nicht, er gehört wieder anderen Freunden, eine komplizierte Geschichte; ich könnte mir nicht verzeihen, wenn etwas passierte. 

Kerstin Kempker, 1958 am Rosenmontag in Wuppertal geboren, besuchte in Mainz die Klosterschule, wurde in Nürnberg Industriekaufmann und in Hannover Mutter. Nach Berlin kam sie 1984, studierte dies und das, leitete das Weglaufhaus, verfasste einschlägige Bücher und trat zur Belletristik über.

Auszug aus dem Roman Das wird ein Fest, erschienen 2012 im Verlag Nimbus. Kunst und Bücher, Wädenswil:

Ein Flattern war das auf dem Balkon, sagte der Hausmeister, wie Vögel, die schlagen mit den Flügeln und kommen nicht weg. Es war ja schon dunkel. Dieser Geruch und das Geflatter. Plötzlich war es so still. Einer der Brüder griff in ein altes Tonband. Sprich mit mir! Ich bin deine Frau, durchschnitt eine Stimme den Raum; scharf, sagte der Hausmeister, wie Kreissäge, feines Blatt, hohe Frequenz.Die Männer machten Licht, traten über Abfall und Ungeziefer in den Flur und öffneten die klemmende Schlafzimmertür. Einer
knipste Licht an, sie starrten aufs Bett. Der jüngere der Brüder soll seitdem immer nur einen Satz sagen: Ist nicht wahr! Ausgestreckt auf dem Doppelbett lagen die Kleider der Frau W. so, als habe sie eben noch in ihnen gesteckt. Aufgeplusterte Sachen, sagte der Hausmeister. Besonders erwähnte er den halsrund geöffneten, speckigen Kragen der weißen Bluse und die Puffärmel mit ihren ebenfalls kreisrund offen stehenden Enden.

Inger-Maria Mahlke, geboren 1977 in Hamburg, in Lübeck aufgewachsen, lebt in Berlin. Studium der Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin, Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. 2005 Teilnehmerin einer Werkstatt für Nachwuchsautoren unter der Leitung von Herta Müller, 2008 Autorenwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung, 2009 Autorenwerkstatt des LCB und Preis für Prosa beim 17. open mike. 2010 Veröffentlichung des Debutromans Silberfischchen im Aufbau Verlag, für den sie im selben Jahr den Klaus-Michael Kühne Preis erhielt.
2011/2012 Stipendiatin der Stiftung Preussische Seehandlung.

Reinlesen könnt ihr hier.

Kreuzwort am 08.10: Hanna Lemke, Marie. T. Martin, Tom Schulz und Ron Winkler

28 Sept

Das Leben hat leider keine opening themes, deswegen kommen wir gleich zum Punkt: Tom Schulz bringt ein neues Buch raus, es heißt Innere Musik und er wird daraus am 08.10. bei Kreuzwort im Damensalon in der Reuterstraße 39 in Berlin-Neukölln vorlesen. Begleiten werden ihn Hanna Lemke, Marie T. Martin und der frenetische Ron Winkler. Nicht nur geistig, sondern auch textlich respektive leserlich und… Ihr wisst schon! Ihr seid auch dabei: Ab 20h und mit 3€ in der Tasche, die ihr endlich loswerden könnt, wenn ihr in unsere geldgeile Umarmung lauft. Wir freuen uns. Nach den Credits können wir dann noch alle mit einem Bier im Bauch Toms Buch und/oder seine Person feiern, oder das Leben oder eben einen bezaubernden Abend. Wird schön

Hard facts & running order:

Hanna Lemke, geboren 1981 in Wuppertal, studierte von 2002 bis 2006 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2010 erschien ihr Debüt, der  Kurzgeschichtenband “Gesichertes” im Verlag Antje Kunstmann. 2011 die Erzählung „Geschwisterkinder“. Sie lebt in Berlin.

Auszug „Geschwisterkinder“ (Erzählung), Verlag Antje Kunstmann 2012:

„Meinst du, wir waren als Kinder auch schon so, wie wir jetzt sind?“, fragte Milla. 

„Schwer zu sagen.“ Ritschie schaute sie an, eindringlich, als würde er in ihrem Gesicht Spuren von ihrem Gesicht als Kind suchen. „Ich erinnere mich noch daran, wie du ausgesehen hast, als du neu geboren warst“, sagte er. „Du hattest diesen Marienkäferstrampler an. Du hattest ein ganz rotes Gesicht. Und ich weiß noch, dass ich dachte, dass du noch gar nicht aussiehst wie ein Mensch.“

Marie T. Martin, geboren 1982 in Freiburg, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und absolvierte eine Ausbildung zur Theaterpädagogin. Sie lebt in Köln. 2007 erhielt sie den Förderpreis des MDR-Literaturwettbewerbs und 2008 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium. 2010 war sie Stipendiatin der Stadt Köln in Istanbul. Nach ihrem Erzählband Luftpost (poetenladen 2011) erschien 2012 mit Wisperzimmer ihr Lyrikdebüt im Poetenladen Verlag.

Heute nicht heute geht der Wind so komisch
alle Zitronen im Kreis beginnen zu leuchten
heute nicht heute liegen Waren auf dem Laufband
zur Kasse du hast wohl das meiste davon gekauft
darunter den Fisch mit den schillernden Flossen
das luftdicht verpackte Kraut ohne Namen
heute nicht heute sind die Tüten mit Wasser gefüllt
hängt wirklich ein Farnstrauß am Mantelhaken
und Regen Limetten der windstille Ort dort drüben
im Flur sieht dich die Katze dort schaffst du den Weg
zur Küche nicht mehr dort sieht dich am frühen Abend
die Katze und schließt deine grünen Augen zu schnell

Tom Schulz, geboren 1970 in der Oberlausitz, aufgewachsen in Ostberlin, lebt in Berlin. Von ihm erschienen sechs Gedichtbände, zuletzt: Innere Musik, 2012 im Berlin Verlag. Der Kurzprosaband: Liebe die Stare. Verlagshaus J. Frank, 2011.
Mitherausgeber der Kneipenbuchreihe im Berliner Taschenbuch Verlag sowie der Anthologie „Alles außer Tiernahrung – Neue politische Gedichte.“
2010 erhielt er den Bayerischen Kunstförderpreis für Literatur.

Nahe der Alten Oder

wir kamen an den See, ein Kranich
Schlafplatz, im Herbst sahn wir
den Köder auf dem Blinker
die Welt im Nebel, falsche Hatz

auf einer Campingliege: ein Körper
vage, ohne Wille, müde; die Fliege
in seinem Gesicht, einen oder zwei
Tage klüger als der Menschenangler

wir wissen nicht, wie der Gesang
in einem Schwan anschwillt, hat er
sich aufgeplustert, ein spanischer
Infant mit Rüschen…

weißer Halskrause; rief ich dir
in den Röhricht nach, das Wasser
ist nicht tief… die Flatterbinsen

verglichen wir unsre Schnatterlaute

auf einem Smartphone, das zu
versinken schien, erkannten
dieses Zischen, Zischeln, jenes Futter
Betteln auf dem Vogelstimmen-App

die Kähne mit den Kohleschiffern
lauschten wir still der Dommel
auf dem Grund schwammen im flachen
seichten Schlamm Karauschen

Ron Winkler, 1973 im Bezirk Gera geboren und aufgewachsen mit Blick auf fremde Äpfelbäume und einen Bergsturz.
Sechsjährige Ausbildung zum Judoka, sporadische Teilnahme an der Schülerakademie (»Tarnung, Warnung und Signal: Die Farben der Tiere«) und mit einsetzender Adoleszenz Engagement in den FKR Literatur und Sozialistische Landesgestaltung (Pflege eines Orchideeotops).
Diverse Besuche der Großeltern mittels eines Ikarus 66. Ungesühnte Straftaten: Inbrandsetzung einer Mülldeponie (Zetti-Süßwaren-Tüten-Fehldrucke, Chemikalien, künstliche Nieren, Hausmüll).
Ron Winkler hat eine Leerstelle für Torp und widmet sich neuerdings der sinnlichen Katzendokumentation.

Einen Text Rons kriegt man auf Klick hier, kurze Peter Maffay-Reminiszenz nicht ausgeschlossen. (Text entfernt, wer zu spät kommt, den bestraft Peter Maffay! Wusste schon Boris Gorbatschow)

KREUZWORT am 23.01. mit BOEGE, JACKSON, STALLBAUMER & TEZKAN

17 Jan

Nach einem wunderbaren letzten Kreuzwort-Abend, der uns mit verquollenen Augen, rumpelnden Mägen und zufrieden-besonnenem Lächeln aufwachen ließ, nehmen wir nun frisch und unverkatert Fahrt auf. Am Mittwoch werden wir noch Brigitte Struzyk, Ulrich Koch und Peter Wawerzinek in der Lettrétage belauschen und -gutachten, bevor’s am Freitag wieder eine Portion Kunst gibt. Immerhin: Akute Handlungsbereitschaft im Haus am Lützowplatz. Mark Greif ist nicht dabei, der ist zu dem Zeitpunkt leider in jeder Feuilletonsparte jedes Mediums überhaupt. Dafür haben wir das pfundige Lyriksternchen Manuel „Ramboel Stalldoomer“ Stallbaumer bei uns, der nicht nur mit mir zusammen ein Buch verlosen wird, das wohl niemand haben möchte, nein, er hat einen weiteren alten Bekannten eingepackt: Hakan Tezkan kommt ebenfalls aus Leipzig herüber und liest Prosa. Unterstützung findet die Gattung auch durch Luise Boege. Zudem freuen wir uns, Hendrik Jackson begrüßen zu dürfen und mit ihm Alexej Parschtschikow – jedenfalls textlich, Hendrik liest Übersetzungen von Parschtschikows Lyrik.

Die ganz nüchternen und nackten Daten: 23.01.2012, ab 20h im Damensalon in der Reuterstraße 39 (Nähe U Hermannplatz und/oder Schönleinstraße), 3€ Damage, eventuell ein Buchgewinn. Alles klar?

Übrigens möchten wir an dieser Stelle Nora Bossong zum Peter-Huchel-Preis gratulieren. Wieder einmal zeigt sich: Wer häufig bei Kreuzwort auftaucht, kann nur gewinnen. Weitere Personen, die zukünftig noch gewinnen werden und warum:

Luise Boege, geboren 1985 in Würzburg, lebt und arbeitet in Berlin. Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Veröffentlichungen von Lyrik und Prosa in Anthologien und Zeitschriften, zuletzt Entwürfe und Lichtungen. Auszeichnungen unter anderem Open Mike 2006.

Mein Blick scheint etwas kaputtzumachen an den Dingen, denn ich träumte (nehme ich an) einmal von einem dritten Auge, das über meinem eigentlichen Auge (dem rechten) wuchs, und ich fragte mich, gemeinsam mit den bei mir seienden Menschen (Freunde oder so), ob das Bedeutung habe, oder ob dritte Augen nicht einfach so wüchsen (man hatte schon davon gehört in diesem Kreis, also sowohl von der möglichen Bedeutung dritter Augen als auch der Möglichkeit von Nichtbedeutung dritter Augen), also war beides möglich und berechtigte Annahme. Ich konnte ohnehin nicht mehr als vorher auch schon sehen, obwohl ich ja hätte müssen (mit dem dritten Auge). Das juckte (das Auge, und die anderen waren auch lang schon weggeglitten von dem Gespräch, hin zu etwas, das ich, traumüblich, nicht ansehen konnte, etwas, das ich möglicherweise selbst ausstrahlte, ins blinde Zentrum meines Blickfeldes). Seitdem bin ich sensibilisiert für meine eigene Ausdehnung (ich ahne sie).

Hendrik Jackson, geboren 1971 in Düsseldorf. Lebt als freier Autor, Übersetzer und Herausgeber (lyrikkritik.de) in Berlin. Er veröffentlichte die Bändebrausende Bulgen – 95 Thesen über die Flußwasser in der menschlichen Seele, edition per procura 2004, Einflüsterungen von seitlich, Morpheo Verlag 2001, sowie als Übersetzer aus dem Russischen Marina Zwetajewas Poem vom Ende/Neujahrsbrief, edition per procura 2003. Zuletzt erschienen der Gedichtband Dunkelströme, kookbooks 2006, und der Essayband Im Innern der zerbrechenden Schale. Poetik und Pastichen, kookbooks 2007. Hendrik Jacksons Gedichte wurden unter anderem mit dem Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium 2002, dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis 2005, dem Hans-Erich-Nossack-Förderpreis 2006 und dem Friedrich-Hölderlin-Förderpreis 2008 ausgezeichnet. Vor Kurzem erschien im Merve Verlag Helm aus Phlox. Zur Theorie des schlechtesten Werkzeugs zusammen mit Ann Cotten, Daniel Falb, Steffen Popp und Monika Rinck.

Hendrik wird Gedichte von Alexej Parschtschikow lesen, die er aus dem Russischen übersetzt hat. Erschienen sind sie im Band Erdöl bei kookbooks.

Das liest sich dann so:

Igel

Igel: ein dunkler Prophet, der die Wurzel des Himmels zieht,

dessen Nadelbett den Leib Sebastians durchspießt.

 

Sein Rücken: eine Vielheit, geschöpft wie durch ein Sieb,

und der doch in sich, ganz, abgesondert blieb.

 

Zisch ihn an – er  erlischt, gleichsam durchbohrt. Trollt

sich fort. Pass auf, daß er nicht in den Kragen rollt!

 

Der Igel – ein Schlosserutensil; Tölpel, der einen Twist hinlegt.

Abfallkorb an der Haltestelle, von einer Schneewächte verdeckt.

 

Bei Frauen stehen seine Nadeln still, wie in Futteralen.

Verträumten Männern wird er das Kinn zermahlen.

 

Das Verschwinden des Igels – ein trockener Auspuffknall.

Auferstanden? –Dann schüttel dich aus! Nadeln überall!

 

Manuel Stallbaumer, geboren 1990. Aufgewachsen und unter pompösen Umständen größtenteils erwachsen geworden in Aidlingen. Studiert seit 2009 am Literaturinstitut in Leipzig, veröffentlicht hin und wieder Gedichte. Top: War 2011 für den Open Mike nominiert. Flop: Hat nicht gewonnen.

-1wodkatampons als kleinster gemeinsamer nenner
meiner generation. zum zeitpunkt des versagens
der actimelabwehrkräfte trafen wir uns zum

abarbeiten an der ödnis / an molekülgeschwadern
penibel genaue verortung im irgendwo der felder
und als hauptattraktion: german angst wo einer stand
auf dem geländer eines stegs an
einem künstlich angelegten see
und sprang / ich hinterher

(unnötig anzumerken: ’s war august
der vierundzwanzigste oder so vor uns
eine noch zu erbauende vorstadt mit
getthoprädestination)

hakan tezkan, geboren 1989, seit 2009 studium am deutschen literaturinstitut leipzig, ein paar veröffentlichungen.

Die Mutter und der Vater saßen bereits am Tisch und warteten. Darauf zu sehen: in der Mitte ein Glaskrug gefüllt mit Wasser, darum herum Schalen, aus denen es dampfte, außerdem Teller, Besteck, Servietten. M stand am Fenster und fuhr mit den Fingern über die Scheibe, zeichnete die Konturen der Geräte auf dem Spielplatz nach: bunte Klettergerüste, Rutschen, Wippen, ein Sandkasten. Es hatte geregnet, im Sandkasten lagen aufgeweichte Bieretikette und anderes Papier. Die Eltern unterhielten sich darüber, über den Regen, die Sonne, die sich nicht blicken ließ, über das Wetter allgemein; darüber konnte man immer sprechen. M verließ jetzt den Raum, man hörte Türen sich öffnen und schließen, Rascheln, Schritte, dann wieder Türen, kam zurück. Ob er sich nicht setzen wolle, sagten die Eltern dann. Das mache sie ganz nervös, dass er in der Wohnung umher laufe wie ein Streuner. Er setzte sich. Kurz darauf fing er an, mit den Füßen zu wippen, der Tisch zitterte, man hörte das Besteck auf der weißen Tischdecke, auf dem Holz, man hörte es dort ganz deutlich zittern und die Mutter und der Vater schauten M an, sagten erst nichts, schauten ihn bloß an, als würde er wissen, was sie damit meinten; und er wusste auch, was sie meinten, er reagierte bloß nicht. Er solle damit aufhören, sagte der Vater schließlich. M ließ die Beine sofort still und stand auf, stellte sich wieder ans Fenster. Ein Hund pinkelte gerade in den Sandkasten, sein Herrchen war nicht zu sehen. In einer der Wohnungen gegenüber ging das Licht an, man sah einen Schatten hinterm Vorhang auftauchen/abtauchen. Die Mutter strich sich ihren Pulloverärmel hoch und guckte auf ihre Uhr. Wiederholte das kurze Zeit danach wieder. Fragte dann, ob W später komme, ob er etwas gesagt habe. Nein, sagte M, und weiter: der wird schon gleich auftauchen. Er könne sich ja schonmal die Hände waschen, sagte die Mutter und M verließ also das Zimmer, ging ins Bad, drehte den Wasserhahn auf. Er hielt seine Hände nicht darunter, betrachtete sich bloß im Spiegel und machte Grimassen, über die er versuchte zu lachen, er lachte aber nicht. Dann drehte er den Hahn zu und ging zurück ins Esszimmer. Er kehrte den Eltern den Rücken und betrachtete die Wand, die Raufasertapete, die er an einigen Stellen schon abgekratzt hatte, über die seine Eltern immer wieder hatten streichen müssen. Man sah die übertrieben weißen Flecken, wenn man genau hinsah, sie waren dann deutlich zu erkennen.

Zeitschriften! Und: KREUZWORT am 12.12. mit D. FRÜHAUF, K. HARTWELL & D. WAGNER

5 Dez

Bevor ich mit dem Sturmhagel an Informationen zum nächsten KREUZWORT-Abend am 12.12. mit David Frühauf, Katharina Hartwell und David Wagner beginne, hier noch zwei kurze Hinweise in nur semi-eigennütziger Sache:

Wir lieben ja Zeitschriften und lesen sie vor dem Schlafgehen, nach dem Aufstehen, im Bus, beim Überqueren der Straße und auch bei gelegentlich sich ergebenden Krankenhausaufenthalten, wenn wir mal wieder angefahren wurden. Besonders angetan haben es uns die randnummer literaturhefte, die es bei unseren Lesungen ab sofort für billige 5€ zu kaufen gibt. Dafür gibt es in der vierten, soeben erschienenen (enenen!) Ausgabe nicht nur fantastisches Artwork und wahnsinnig gute Collagen von Mitherausgeberin Simone Kornappel (an der Stelle Gratulation unsererseits für eine Publikation ganz anderer Art), sondern diese hat zusammen mit ihrem Kollegen Philipp Günzel auch eine sehr schmucke Textauswahl getroffen. Es warten Konstantin Ames, Dennis Büscher-Ulbrich, Nina Bußmann, Kristoffer Patrick Cornils, Max Czollek, René Hamann, Hendrik Jackson, Bülent Kacan, Nicolai Kobus, Jan Kuhlbrodt, Tristan Marquardt, Robert Monat, Stephan Reich, Monika Rinck, Tibor Schneider, Sabine Scho, Mathias Traxler, Michael Zoch, Dmitry Golynko (übersetzt von Alexander Filyuta) und Birgit Kreipe (im Interview mit Simone Kornappel) mit neuen Texten auf. Grund genug, am 12.12. 5€ mehr einzustecken und sich eine randnummer mitzunehmen – wir verdienen da selbstverständlich nichts dran, sondern leiten das Geld an Simone und Philipp weiter, die sich mit der hochwertigen Ausgabe in Unkosten gestürzt haben.

 

Kostenlos war allerdings die erste Ausgabe der Zeitschrift Sachen mit Wörtern, von denen letztes Mal bereits ein paar auslagen und samt und sonders in diversen Taschen verschwanden. Wer kein Printexemplar mehr abbekommen hat, sich aber trotzdem ein Interview mit uns durchlesen möchte (hier nur kurz der Hinweis, dass der im Gespräch erwähnte Abend in Kooperation mit fixpoetry schon gelaufen ist), der kann das hier in aller Ruhe tun. Interessant genug und dank der Illustrationen von Petrus Akkordeon auch schmuck anzusehen.

Aber nun Butter bei die Fische, ich halte mich kurz: Am 12.12. ist wieder KREUZWORT! Das letzte Mal im turbulenten Jahr 2011, bevor es dann im Januar weitergeht. Wir freuen uns auf drei Mal Prosa von David Frühauf, Katharina Hartwell und David Wagner (bevor jetzt jemand naseweis wird: Insgesamt drei Mal, nicht jeweils!). Das wie mittlerweile ja bestens bekannt aus unserer Lieblingstrinkanstalt, dem Damensalon in der Reuterstraße 39 nahe der U-Bahn-Stationen Hermannplatz und Schönleinstraße. Das Ganze kostet 3€, Einlass ab 20h.

David Frühauf, geboren 1987 in Braunau am Inn, Oberösterreich. Seit 2007 Germanistikstudium, 2009 Aufnahme des Studiums „Sprachkunst“ an der Universität der angewandten Kunst Wien, seit 2010 am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Ich hätte nicht zu sagen gewusst, woher du stammtest oder ob es solch eine Region überhaupt je gegeben hatte, die nicht erst durch meinen Zuspruch, mein Einsagen – mit flatternden Händen, mit flüsternden Gliedern – als Erfindung, ja, möglicherweise als Erinnerungslandschaft in mir und durch dich entstehen konnte. Doch nichts widerfuhr dir, nichts durch dich. Es schien, als wärst du von Beginn an gewesen, einzig um sagen zu können: Es gibt –; und dann darin zu verschwinden, unsichtbar zu werden, wie in Wiederholung übergangen, damit das Gedächtnis mit Sicherheit sich selbst auslösche – keine dieser Silben würde je über deine Lippen gekommen sein, oder sich als dir eigen zu verstehen gegeben haben. Dass du so flüchtig bist, rief ich, so vage und wölbend, so splitternd, zerrissen, beständig zugleich, wie mehrfach gespiegelt, meint: an meiner statt, um Stellen versetzt, verzerrt, und dich dadurch einer Anrede entzögst; revozierte Marter, ja, epiphane Bildflut und -flucht, und du zwischendurch aufschrecktest, als hätte dir jedes (weitere) Wort etwas anhaben können, hätte sich dir aufgedrängt und dich auf eines davon zu reduzieren versucht. Was für Sätze wären das, aus welchen Buchstaben wären sie gemacht? Jeder einzelne befremdete dich zutiefst, und ich wagte kaum zu atmen, befürchtete das Schlimmste eintreten gelassen zu haben: dass ich eines Tages nicht mehr aus dem Vergessen erwachen würde und all die an dich gerichteten Appellationen auch nach wiederholtem Male ungehört blieben. Welche dieser Masken würde sich dann dennoch vereinnahmen lassen, welche ließe dich zurück, in Keimen, in kleineren Mengen, um daraus zu schöpfen, zu erschließen, mich daran zu halten und welche verstünde sich noch darauf, dich in derselben Weise zu nennen, zu rufen, ohne stets denselben Namen zu verwenden und ohne zu antworten?

Katharina Hartwell, 1984 in Köln geboren. 2003 bis 2010 Studium der Anglistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Seit 2010 Master „Literarisches Schreiben“ am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2006 und 2010 Preisträgerin “Junges Literaturforum Hessen-Thüringen“. 2009 MDR Literaturpreis. 2010 Arbeitsstipendium des LCB und Finalistin beim 18. Open Mike. Debüt „Im Eisluftballon – Erzählungen“ im Poetenladen Verlag erschienen. 2011 Aufenthaltsstipendium Künstlerdorf Schöppingen sowie Arbeitsstipendium der Jürgen Ponto-Stiftung.

Auszug aus dem Romanprojekt „Das fremde Meer“:

Du hörst jetzt die erste Geschichte. Du musst die Augen nicht öffnen, musst dich nicht bewegen, musst nicht mit dem Kopf nicken und ihn auch nicht schütteln. Heute Nacht nehme ich dich mit auf eine Reise, auf hundert Reisen nehme ich dich mit, und vielleicht sind wir dorthin unterwegs, wo du noch nie hin wolltest, wo keiner zu Hause sein möchte. Und vielleicht wirst du allein sein, einsam sein, wirst denken, dass ich dich nicht finden werde, nicht weiß, wo du bist, keiner weiß, wo du bist, und du warten musst, wie Rapunzel in ihrem Turm, wie Schneewittchen im Sarg aus Glas, wie Dornröschen hinter der Hecke. Mach dir keine Sorgen, halte still, halte dich gerade, halte Ausschau, warte, bis sich eine Tür öffnet, jemand den Raum betritt, jemand deinen Namen sagt, jemand durch die Fluten, durch den Wald, durch die Straßen, durch die Nacht zu dir kommt und dich an die Hand nimmt.

David Wagner, geboren 1971, wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter mit dem Walter-Serner-Preis, dem Dedalus-Preis für Neue Literatur und dem Georg-K.-Glaser-Preis. Er lebt in Berlin. Im Jahr 2000 veröffentlichte er seinen Debütroman »Meine nachtblaue Hose«. Sein jüngster Roman, »Vier Äpfel«, stand auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2009.

David Wagner wandert durch die Stadt, allein, manchmal in Begleitung. Was ist die Stadt? Wie lässt sie sich beschreiben? Immer wieder stößt er auf die Trümmer der deutschen Geschichte. Wagner erzählt, wie sehr sich die Stadt in den letzten zehn Jahren verändert hat. Er macht ein Praktikum als Türsteher in der »Flittchen Bar«, trifft die Füchse auf der
Pfaueninsel und einen müden Bürgermeister neben einem Bärenkostüm. Er spaziert durch die Randgebiete und durch den alten Westen. Er geht die Baustellen ab und erinnert sich an Baulücken. David Wagner läuft seit zwanzig Jahren kreuz und quer durch Berlin. Er ist ein Stadtwanderer, »in Halbtrance, gepaart mit dem Willen zur illusionslosen Genauigkeit«, wie die Wochenzeitung Die Zeit meinte.

»Welche Farbe hat Berlin?« versammelt größtenteils unveröffentlichte Texte, die in den letzten Jahren entstanden sind.

Das liest sich so:

DIE MÜLLTÜTE

Ich will bloß den Müll hinuntertragen in den Hof, unten aber, ich habe die zugeknotete Abfalltüte noch in der Hand, gefällt mir die Nacht so gut, es riecht nach Frühling, daß ich hinaus auf die Straße gehe. Ich biege um zwei Ecken und stehe schon vor dem Café Haliflor – entscheide mich aber, die Luft ist so süß, weiterzugehen.

Fast alle Fenster in den Fassaden der Choriner Straße, es ist gleich Mitternacht, sind schon dunkel. Ich komme an dem alten, zweistöckigen Molkereigebäude und der Protzbaustelle Choriner Höfe vorbei, überquere die stille Kreuzung mit der Zehdenicker Straße, auf der Torstraße halte ich mich links. Vor dem Kaffee Burger, die Reformbühne ist aus, steht ein Bekannter auf dem Bürgersteig und raucht. Wir wechseln ein paar Worte, er sagt nichts zu der Mülltüte, die ich in der Hand halte.

Ich gehe weiter und biege in die Alte Schönhauser Straße, noch immer stehen dort diese seltsamen Bürocontainer mit Camouflage-Bemalung auf dem unbebauten Grundstück Ecke Linienstraße. Die Nacht, es ist Sonntag, ist ruhig, ich höre nur eine italienische Reisegruppe singen. Sie johlen in einiger Entfernung, sie grölen, sie haben gute Laune. Ich bleibe vor dem Espresso- und Kaffeemaschinengeschäft stehen, mir gefallen finnische Porzellantassen ein paar Schaufenster weiter, schließlich betrachte ich Umhängetaschen, die aus alten LKW-Planen genäht wurden.

Ich merke, daß ich die Mülltüte immer noch mit mir herumtrage, schaue mich um, weit und breit ist kein Mülleimer zu sehen. Von der Münzstraße komme ich in die Max-Beer-Straße, kehre nach wenigen Schritten aber wieder um, mir fällt ein, daß dort eine Freundin wohnt, der ich nun lieber nicht begegnen möchte, nicht mit einer Mülltüte in der Hand. Ich bewundere die nackten Betonwände in einem zum Ladenlokal umgebauten Plattenbau-Erdgeschoß und biege in die stille Almstadtstraße ein.

Es ist dreiviertel eins, und wenn mich jemand fragen würde, was machst du um diese Zeit mit einer Abfalltüte in der Hand vor dem Schaufenster der Buchhandlung Pro qm, ich wüßte keine Antwort. Ich wollte gar nicht spazieren gehen, ich bin heute schon unterwegs gewesen, ich wollte nur den Müll hinuntertragen. Scheint so, als hätten meine Schuhe ohne mich entschieden. Sie sind einfach losgegangen. Das Gehen hat sich verselbständigt, und ich bin mir gar nicht mehr so sicher, ob ich selbst, ob tatsächlich ich es bin, der hier einen Fuß vor den anderen setzt. Geht die Stadt vielleicht mit mir spazieren? Die Füße unterbrechen ihre Tätigkeit, als zwei sich laut unterhaltende Amerikaner auf mich zukommen, ziemlich betrunken sagen sie Hi und fragen, natürlich auf Englisch, wo sie hier Dope kaufen könnten. Mir fällt nichts anderes ein, als sie in den Weinbergspark zu schicken.
Ich gehe weiter, finde wieder in meinen Rhythmus, den eigenen Geh-Rhythmus, der es manchmal so schwierig macht, mit oder neben anderen zu gehen. Am besten geht es sich doch allein, denke ich – widerspreche mir dann aber, fallen mir doch sofort zwei, drei, vier Personen ein, mit denen ich sehr gerne gehe und schon viel gegangen bin. Ich komme wieder zur Torstraße und stoße auf diese rätselhafte retro-avantgardistische Architekturskulptur an der Ecke Rosa-Luxemburg-Straße, ist das historistischer Expressionismus? frage ich mich, wie immer, wenn ich dieses Gebäude sehe. Und stehen dort, nirgends brennt Licht, vielleicht alle Wohnungen leer? Ein Nachbargrundstück ist noch unbebaut, hinter dem grell beleuchteten Werbezaun, der die Brache zur Alten Schönhauser hin umschließt, liegen abgerissene Plakate, leere Flaschen und ein kaputter Kinderwagen.

Einen Moment lang bin ich versucht, meine Mülltüte dazu zu werfen, trage sie dann aber, sie ist ja nicht schwer, doch die Schönhauser Allee hinauf, vorbei an der schönrenovierten Ex-Ruine Pfefferberg. Das riesige, viel zu perfekte spanische Touristenrestaurant hat schon geschlossen. Ich biege in die Schwedter Straße ein, überquere die Choriner und stehe wieder vor dem Haliflor. Anne, Sonntag ist ihr Abend an der Bar, sieht mich und winkt. Ich setze die Tüte ab, gehe hinein, bestelle ein Bier und erzähle, sie hält das natürlich für eine Ausrede, daß ich bloß den Müll hinuntertragen wollte. Zwei Franzosen, die neben mir am Tresen trinken, unterhalten sich über Neukölln. Die Tüte werfe ich später in den Müllcontainer im Hof.

Kreuzwort am 14.11.: crauss. / Breyger / Krämer / Schmid

6 Nov

Wenn man keine Ahnung hat, welchen semi-humoristischen Aufhänger man für den nächsten Blogeintrag zum nächsten Kreuzwort-Abend am 14.11. ab 20h hat, weil denken irgendwie anstrengend ist, dann hilft die wordpress-Statistik weiter: „straßenstrich nähe schönleinstrasse“, so kann man uns über google finden, scheint es. Schön. Statt sex kommen aber eher – Wahnsinnskalauer – text workers zu uns und aus der voyeuristischen bzw. ecouteuristischen (gibt es wirklich, das Wort) Perspektive muss man lediglich 3€ Eintritt hinlegen. Um das zu konkretisieren: Aus der Nähe des Straßenstrichs bzw. der U Schönleinstraße oder aber der U Hermannplatz kommt man ja sehr schnell in die Reuterstraße 39 und somit in den – weitere Wahnsinnspunchline von Wortspiel in 3, 2, 1,… – (Anstands-)Damensalon. Dort warten dann Yevgeniy Breyger – welcher auch am 16.11. in der Lettrétage lesen wird, dort allerdings PROSA, bei uns LYRIK -, Thorsten Krämer mit Prosa, Annina Luzie Schmid und crauss. kommen ebenfalls lyrisch.

In alfabetischer Order:

Breyger, Yevgeni: wurde 1989 in der ukraine geboren, lebt seit 1999 in deutschland. studiert kreatives schreiben an der uni hildesheim. hat mehrere preise und stipendien gewonnen, darunter ein arbeitsstipendium der stiftung niedersachsen und den mit 2000€ dotierten selma-meerbaum-eisinger literaturpreis.hat in zeitschriften und anthologien veröffentlicht, u.a: konzepte, bella triste, poet, wortwuchs.

funker

nimm dein tierpräparat in die hand, hier kannst du
nicht bleiben: geweihe, gewehr aufgehängt. moment,

du zeichnest mich ab. etwas kleines im nacken,
bestimmst du die art, den gehalt? schiene. zurück,

nimm dein tierpräparat, behalts. du faltest einen
doppelten knoten ins bild, ziehst mich auf. schleife

zwischen die hufen, geschenkt. spul an den anfang,
klemm das ding unter die arme, spann es dir ein.

crauss.:

(1971) ist ganz aus dem takt geraten, seit er vom städtischen museum als gogo-tänzer engagiert wurde. tingelt seitdem durch verschiedene textspelunken und legt sich, wenn er genug getrunken oder eine lakritzvergiftung hat, mit motorradhelden an. bücher, burschen, bilder und brandaktuelles auf www.crauss.de

(c) marvellous

Hier wird erkenntlich dass cräuss.sche Texte mehr Fäden haben als dieser Blogeintrag, dort bekommt man eine utopische/dystopische (man weiß es nicht) Zukunfts- oder Vergangenheitsvision zu Florians in Berlin, die vielleicht am 14. eintrefen wird oder Teil der Vergangenheit gewesen sein könnte. Kurz: Klicken & crauss. lesen!

Krämer, Thorsten: geboren 1971, lebt in Köln. 1998 erschien sein erstes Buch, „Ich heiße Hal Hartley“, seit diesem Sommer ist das fünfte erhältlich: „Der graue Cardigan“. Daneben zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien sowie Arbeiten für Radio und Fernsehen.

Ab Januar 2012 startet die Reihe krämer’s monthly mit jeweils einem Band pro Monat. www.thorstenkraemer.de

Aus „Der graue Cardigan“:

Meistens bin ich es, der das Besteck vom Frühstück in die Spülmaschine räumt. Aber nicht direkt. Vom Tisch wandert es zunächst in die Spüle, entgegen aller Weisheit in Sachen Organisation und Prozesse. Die besagt, dass man einen Gegenstand nicht öfter als notwendig in die Hand nehmen soll. Es ist schlicht ineffizient, das schmutzige Besteck erst einmal in die Spüle zu legen und dann, vielleicht eine halbe Stunde später, von der Spüle in die Spülmaschine zu befördern. In Wahrheit ist diese Handlungsweise natürlich nicht nach den Kriterien der Wirtschaftlichkeit ausgerichtet, vielmehr steht die Kommunikation im Vordergrund. Das schmutzige Besteck in der Spüle ist ein Angebot zur Teilhabe, ich biete ihr damit die Möglichkeit, ihrerseits aktiv zu werden. Ich lege das Besteck in die Spüle, sie räumt es von dort in die Spülmaschine. Auf diese Weise sind wir beide beteiligt, das Besteck verbindet uns. Das ist ein schöner Gedanke, finde ich, aber in der Praxis funktioniert das leider nicht so gut. Entweder ignoriert sie das Besteck in der Spüle einfach, oder sie fragt mich, warum ich es nicht gleich in die Spüle geräumt habe. Auf diese Frage aber antworte ich nicht, sie muss schon selbst dahinter kommen. Wenn man genau hinhörte, könnte man sogar einen leicht vorwurfsvollen Unterton in ihrer Stimme heraushören, aber ich bin meistens zu unkonzentriert, um so genau auf jede Nuance ihrer Stimme zu achten.

Schmid, Annina Luzie: Bloggerin, Social Media Beraterin, freie Autorin. Urheberin des GIRLS CAN BLOG Projektes (seit 2010) und des Litblogs Words On A Watch (seit 2007). Veröffentlicht in diversen Print- und Online-Magazinen. Geboren in Zürich im Jahr 1983, derzeit wohnhaft in Berlin.
www.anninaluzieschmid.net und http://wordsonawatch.blogspot.com/

ich in tüll laken lackkleid nag am fensterrahmen bricht licht in triangelstrahlen staub wendet sich blendet und ich urban es urbakterium will unter wasser ober flächen molekül sein mir von dir mit spitzen lippen zeigen lassen wie die fische machen algen mähen zwischen heiligen korallen mit dir fieberpirouetten drehen in tiefsee kissengraben sinken auferstehen als dampf noch einmal durch die nacht als regen wieder niedergehen…

KREUZWORT am 24.10.: Marfutova, vom Brocke & Unterweger

20 Okt

Folks! Wir können endlich wieder einigermaßen geregelt schlafen, denn „außerbetrieb“ ist vorbei. Wer aus Trauer darüber leise vor sich hinweinend Johannisbeerkraut kaut, den dürfen wir ganz unhomöopathisch beruhigen: Kreuzwort übernimmtwieder den Staffelstab! Wir geben uns keine Schonzeit und bringen am 24.10. wieder Literatur in den sympathischen Damensalon in der Reuterstraße 39 in Kreuzkölln (U Schönleinstraße oder U Hermannplatz, Busse 194 oder M29). Unsere neuen Gastgeber öffnen ihre Pforten extra für uns, Einlass ist ab 20h. Diesmal auch elektrisch amplifiziert, versprochen. Wir sind doch professionell und so Kram.

Für 3€ Eintritt gibt’s auch drei Dichtermenschen und wir freuen uns auf ein sehr abwechslungsreiches Programm mit Lyrik und Prosa von YULIA MARFUTOVA, SONJA VOM BROCKE und ANDREAS UNTERWEGER, den man ja eher selten in Berlin erwischt.

YULIA MARFUTOVA, 1988 in Moskau geboren, lebt in Berlin und studiert dort Germanistik. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien.
Textprobe:

Der Ton in meinem Ohr, der immer da ist, wird überlagert vom Schreien der Nachbarn in der Wohnung unter mir und dann vom Schreien ihres Babys. Es ist ein Kanon verschiedenster Tonlagen und -stärken und ich entfliehe aufs Dach; dafür wohne ich schließlich im Dachgeschoss. Ich steige durch das Fenster, es ist nicht kompliziert, und setze mich auf meinen Lieblingsziegel, der nur deshalb mein Lieblingsziegel ist, weil ich immer auf ihm sitze; ich weiß auch nicht, warum.
Der Abend umschließt mich. Er duftet nach Regen; ich weiß nicht, ob nach vergangenem oder noch kommendem. Ich rieche an ihm. Hier auf dem Dach ist nichts außer dem Abend, seinem Duft und dem Ton in meinem Ohr, einzeln, beharrlich, hoch. Ich lausche in den Abend und in mein Ohr hinein. Mein Ohr, das sich nicht behandeln lässt, weil ich es nicht behandeln lassen will. Ich habe mein Ohr gern, wie es ist. Es leistet mir Gesellschaft.

SONJA VOM BROCKE (geb. 1980), lebt zz. in Berlin. Veröffentlichungen in Literatur- und Kunstzeitschriften (u. a. lauter niemand, Lichtungen, Meise), 2010 ›Ohne Tiere‹ im Verlag Heckler und Koch, Berlin
Textprobe:

[…] Ich liebe Sie. Zum ersten Mal kann ich das sagen. Ich denke Sie ohne Parzelle, bei Ihnen wird galoppiert, kaum Biegung am Saum. Und nach Jahrzehnten noch gäbe es keine Kartoffelchips im Ausschnitt. Zum ersten Mal kann ich das sagen, da das Lieben nicht in der Spitze seiner spitz zulaufenden Tüte erstickt; ich liebe Sie. Sie sind mir flimmernd, Sie kennen das, und zwischen uns saust das Sein. […]

ANDREAS UNTERWEGER, geboren 1978 in Graz, Studium Deutsche Philologie und Französisch, 2004 abgeschlossen. Lebt in St. Johann/Grafenwörth. Schriftsteller und Rockmusiker (Gitarrist und Sänger der Band ratlos).
Veröffentlichungen von Prosa und Lyrik in Literaturzeitschriften (u. a. manuskripte), Essays zu Wolfgang Bauer. Erhielt den manuskripte Förderpreis 2007 und den Preis der Akademie Graz 2009.

»Andreas Unterweger schreibt zauberhafte, um alle Kanten eines von Beziehungsarbeit geprägten Alltags schwebende Prosa, die trotz ihrer Leichtigkeit nie an der Oberfläche haften bleibt. Und er beherrscht die Schubumkehr – dann bricht er rigoros mit literarischen Bildern, bis es dem Leser den Atem verschlägt.« (Alfred Kolleritsch)
http://www.andreasunterweger.at/

Auszug aus „Wie im Siebenten“:

»Nachts träumten wir vom Meer, und morgens«, schrieb ich in meinem ersten Buch, »lagen dann wirklich immer Muscheln in der Blumenkiste vor dem Fensterbrett – als hätte sie das Meer, das wir, Judith und ich, geträumt hatten, dort angespült.« – In Wirklichkeit war es natürlich ganz anders. In Wirklichkeit hatte Judith die Muscheln selbst in die Blumenkiste gelegt. Abend für Abend nahm sie ein paar Muscheln aus den Nutellagläsern, in denen sie sie aufbewahrte, wusch sie Stück für Stück unter dem Wasserhahn im Vorzimmer, das uns als Küche diente, und legte sie dann in das sandige Beet der Blumenkiste, zwischen die letzten Äste eines zähen Thymians und die paar dürren namenlosen Halme.
Ich weiß nicht, warum sie das machte. Ich habe sie, soweit ich weiß, auch nie danach gefragt. Aber ich weiß noch, was es mit mir machte, wenn ich am Morgen dort, in der Blumenkiste vor dem Fensterbrett, die Muscheln sah. Ich weiß zwar nicht, warum – aber wann immer ich, der ich mich jeden Morgen an das Fenster setzte, um zu schreiben, die Muscheln dort in der Blumenkiste liegen sah, erschien es mir mit einem Mal nicht mehr unmöglich, zumindest nicht ganz unmöglich, dass Träume – zumindest unsere Träume, Judiths und meine – tatsächlich Wirklichkeit werden können. – Und dass das In-Erfüllung-Gehen von Träumen eine gute Sache sei, das verstand sich damals, als wir, Judith und Andreas, in unserem Zimmer im Siebenten zusammenlebten, ohnehin von selbst.
Damals, am Anfang, waren wir uns da noch ganz sicher.